Page 18 - 70 Jahre Volkssolidarität Spree-Neiße e.V.
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Wenn Leben im Kinderheim
das Zuhause ersetzt
Als würde sie nach Hause kommen, so fühlt sich Sieglinde Zibula, wenn sie durch Sergen
fährt. Sie hält vor einem Eisenzaun, dahinter steht ein Gutshaus mit großer Eingangs-
treppe. Hier hat sie zwischen den Jahren 1973 und 1983 ihre Kindheit und Jugend ver-
bracht. Nicht ihre Eltern, sondern das Kinderheim Sergen sei ihr Zuhause gewesen, sagt
die 51-jährige Cottbuserin. „Das war meine Familie, Sergen ist meine Heimat.“
Sie stehe dazu, dass sie im Heim aufgewach- im Sommer 1973, kommt auch Sieglinde
sen ist, sagt Sieglinde Zibula: „Das war mein nach Sergen. Sie sind zwei Jahre unzertrenn-
Glück. Was ich heute bin – mit allen Stärken lich. Dann wird die Schwester zu einer Pfle-
„Schlimm waren und Schwächen, habe ich dem Heim zu ver- gefamilie gebracht – ein weiterer Bruch in
danken.“ Deshalb hat sie u.a. auch bei der der gemeinsamen Lebensgeschichte der
die Elternsonntage.
Volkssolidarität gearbeitet und als Sozialar- Geschwis ter. Zurück nach Hause hat es die
Da habe ich beiterin im Obdachlosenhaus. „Aber es fällt Frau nie wieder gezogen. Die Großmutter
mir schwer, Vertrauen zu fas sen, emo tionale war verstorben, die Mutter hatte sich nie für
gemerkt, dass ich
Bindungen aufzubauen.“ Das be gründet die die Kinder interessiert. Die Gemeinschaft im
keine Eltern habe.“ zierliche und doch so kämpferische Frau mit Kinderheim habe die Familie ersetzt. Aber
der Unbeständigkeit in ihrer Kindheit. „Mei- manchmal hat sie sich sehr einsam gefühlt.
ne Oma hat sich um meine kleine Schwester Sieglinde Zibula ist heute selbst Mutter. „Ich
und mich gekümmert.“ Sieglinde Zibula ist hoffe, eine gute. Vielleicht etwas zu anhäng-
damals zehn Jahre alt. Als die Großmutter lich. Aber unser Sohn weiß, dass mein Mann
Einen Ausflug in die Ver- erkrankt, wird das Mädchen von der Schule und ich immer für ihn da sind“, sagt sie.
gangenheit haben Sigried abgeholt. Sie kommt zu einer Pflegefamilie Familie: der Sohn Manuel, Ehemann Man-
Pigolla (li.) und Sieglinde nach Burg und ihre kleine Schwester ins Kin- fred, der frühere und nun verstorbene
Zibula unternommen. derheim nach Sergen. Einen Monat später, Heimleiter Günter Menzfeld, Inge Pursian,
eine Arbeits kollegin ihres Mannes, Hansi
Becker von der damaligen Patenbrigade.
„Weihnachten habe ich immer dort gefei-
ert“, erzählt Sieglinde Zibula.
Zum 50. Jahrestag des Kinderheims Ser-
gen traf sie viele Bekannte, Erzieher, Ver-
traute. Erinnerungen kommen hoch. Man-
che Menschen kennt sie seit 35 Jahren.
Sigried Pigolla z.B. ist Erzieherin, erst im Kin-
derheim Sergen, ab dem Jahre 1999 dann
in den Wohngruppen der Volkssolidarität in
Cottbus, die heute zur Volkssolidarität
Spree-Neiße Sozialdienste zählen. In den
vier Wohn gruppen in Cottbus finden heute
etwa 30 Kinder und Jugendliche vom Neu-
geborenenalter bis zum 19. Lebensjahr ein
Zu hause auf Zeit. Daniela Kühn
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