Page 18 - 70 Jahre Volkssolidarität Spree-Neiße e.V.
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Volkssolidarität SPN 2015 2_Layout 1  14.10.2015  12:47  Seite 18









                  Wenn Leben im Kinderheim




                  das Zuhause ersetzt








                  Als würde sie nach Hause kommen, so fühlt sich Sieglinde Zibula, wenn sie durch Sergen
                  fährt. Sie hält vor einem Eisenzaun, dahinter steht ein Gutshaus mit großer Eingangs-

                  treppe. Hier hat sie zwischen den Jahren 1973 und 1983 ihre Kindheit und Jugend ver-

                  bracht. Nicht ihre Eltern, sondern das Kinderheim Sergen sei ihr Zuhause gewesen, sagt
                  die 51-jährige Cottbuserin. „Das war meine Familie, Sergen ist meine Heimat.“



                                            Sie stehe dazu, dass sie im Heim aufgewach-  im Sommer 1973, kommt auch Sieglinde
                                            sen ist, sagt Sieglinde Zibula: „Das war mein  nach Sergen. Sie sind zwei Jahre unzertrenn-
                                            Glück. Was ich heute bin – mit allen Stärken  lich. Dann wird die Schwester zu einer Pfle-
                      „Schlimm waren        und Schwächen, habe ich dem Heim zu ver-  gefamilie gebracht – ein weiterer Bruch in
                                            danken.“ Deshalb hat sie u.a. auch bei der  der  gemeinsamen  Lebensgeschichte  der
                   die Elternsonntage.
                                            Volkssolidarität gearbeitet und als Sozialar-  Geschwis ter. Zurück nach Hause hat es die
                           Da habe ich      beiterin im Obdachlosenhaus. „Aber es fällt  Frau nie wieder gezogen. Die Großmutter
                                            mir schwer, Vertrauen zu fas sen, emo tionale  war verstorben, die Mutter hatte sich nie für
                     gemerkt, dass ich
                                            Bindungen aufzubauen.“ Das be gründet die  die Kinder interessiert. Die Gemeinschaft im
                    keine Eltern habe.“     zierliche und doch so kämpferische Frau mit  Kinderheim habe die Familie ersetzt. Aber
                                            der Unbeständigkeit in ihrer Kindheit. „Mei-  manchmal hat sie sich sehr einsam gefühlt.
                                            ne Oma hat sich um meine kleine Schwester  Sieglinde Zibula ist heute selbst Mutter. „Ich
                                            und mich gekümmert.“ Sieglinde Zibula ist  hoffe, eine gute. Vielleicht etwas zu anhäng-
                                            damals zehn Jahre alt. Als die Großmutter  lich. Aber unser Sohn weiß, dass mein Mann
                     Einen Ausflug in die Ver-  erkrankt, wird das Mädchen von der Schule  und ich immer für ihn da sind“, sagt sie.
                     gangenheit haben Sigried  abgeholt. Sie kommt zu einer Pflegefamilie  Familie: der Sohn Manuel, Ehemann Man-
                     Pigolla (li.) und Sieglinde  nach Burg und ihre kleine Schwester ins Kin-  fred,  der  frühere  und  nun  verstorbene
                        Zibula unternommen.   derheim nach Sergen. Einen Monat später,  Heimleiter Günter Menzfeld, Inge Pursian,
                                                                                  eine Arbeits kollegin ihres Mannes, Hansi
                                                                                  Becker von der damaligen Patenbrigade.
                                                                                  „Weihnachten habe ich immer dort gefei-
                                                                                  ert“, erzählt Sieglinde Zibula.
                                                                                     Zum 50. Jahrestag des Kinderheims Ser-
                                                                                  gen traf sie viele Bekannte, Erzieher, Ver-
                                                                                  traute. Erinnerungen kommen hoch. Man-
                                                                                  che  Menschen  kennt  sie  seit  35  Jahren.
                                                                                  Sigried Pigolla z.B. ist Erzieherin, erst im Kin-
                                                                                  derheim Sergen, ab dem Jahre 1999 dann
                                                                                  in den Wohngruppen der Volkssolidarität in
                                                                                  Cottbus,  die  heute  zur  Volkssolidarität
                                                                                  Spree-Neiße Sozialdienste zählen. In den
                                                                                  vier Wohn gruppen in Cottbus finden heute
                                                                                  etwa 30 Kinder und Jugendliche vom Neu-
                                                                                  geborenenalter bis zum 19. Lebensjahr ein
                                                                                  Zu hause auf Zeit.         Daniela Kühn


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