Page 6 - 70 Jahre Volkssolidarität Spree-Neiße e.V.
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Mit 70 Jahren noch kein
bisschen leise Ein geschichtlicher Rückblick von
Ines Gropp, Geschäftsführerin der
Volkssolidarität Spree-Neiße e.V.
Wenn man die Frage danach stellt, wer oder was die Volkssolidarität ist, bekommt man
die unterschiedlichsten Antworten. Viele Ältere kennen sie, manche können sich noch
an die Anfangszeiten erinnern. Es gibt Menschen, die sich erstaunt darüber äußern, dass
es die Volkssolidarität noch immer gibt. Jüngere kennen sie weniger, vielleicht eher dann,
wenn die Oma in der Volkssolidarität ist oder war. Aber wenn ich die Frage nach dem
Wesen und Wirken der Volkssolidarität als Sozial- und Wohlfahrtsverband beantworten
soll, lohnt sich ein Rückblick.
Am Anfang waren die Hinterlassenschaften „Volkssolidarität gegen Wintersnot“, der zu
des von Nazideutschland ausgegangenen einer gewaltigen Aktion der Volkssolidarität
verbrecherischen Krieges, das zerstörte Land, aufforderte. Dieser Tag gilt als Geburtsstun-
zerbombte Städte, überall Leid und Elend. de der basisdemokratisch gebildeten Volks-
Zwischen den Trümmern bewegten sich solidarität. Von der tiefsten Not der Heim-
Menschen in viel zu dünnen Mänteln mit kehrer, Flüchtlinge, der Ausgebombten, der
knurrenden Mägen. Kinder und Greise war die Rede. Städte soll-
Egal woher sie kamen, aus Vierteln, die ten den Dörfern und die Dörfer den Städten
in Trümmern lagen, den Dörfern östlich der helfen. Die Häuser sollten so schnell wie
Neiße, den Kriegsgefangenenlagern oder möglich aufgebaut und stillgelegte Betriebe
den Konzentrationslagern der Nazis – sie wieder in Gang gesetzt werden. Der Appell,
mussten den kommenden Winter fürchten. der zwei Tage später in der „Sächsischen
Und der stand unmittelbar vor der Tür. Volkszeitung“ zu lesen war, endete mit den
Das war der Grund, warum sich überall Worten: „Männer, Frauen und Jugendliche
„Notgemeinschaften“ gründeten, um dem des Landes Sachsen, wir appellieren an euch!
furchtbaren Elend zu begegnen. Sie waren Bildet in jeder Stadt, in jedem Dorf und in
ihrem Wesen nach Selbsthilfeorganisationen jedem Kreis Ausschüsse der Volkssolidari-
mit unterschiedlichen weltanschaulichen tät!“ Schließlich kamen am 24. Oktober
Hintergründen und standen in der Tradition 1945 mehr als 1.000 Menschen im Gebäude
Ines Gropp solcher Einrichtungen wie Diakonie, Caritas, der „Sächsischen Volkszeitung“ zu einer Par-
Arbeiterwohlfahrt oder einzelner Vereine, teiarbeiterkonferenz der KPD der Sowjeti-
um den Bedürftigen zu helfen. Dabei wurde schen Besatzungszone (SBZ) zusammen und
der Solidaritätsgedanke zur Grundidee. Am beschlossen das „Grundsatzprogramm der
17. Oktober 1945 unterzeichneten Vertreter Volkssolidarität“ mit dem Ziel der Verbrei-
der KPD, SPD, LDPD, CDU, der Landeskir- tung in allen Ländern der SBZ. So kam es,
chen und des Freien Deutschen Gewerk- dass tatkräftige Menschen unter dem Namen
schaftsbundes einen gemeinsamen Aufruf „Volkssolidarität“ Brennstoffe verteilten,
6 Die Geschichte der Volkssolidarität